In der Behandlung der neurologischen Erkrankung Multiple Sklerose wurden in den letzten zwei Jahrzehnten entscheidende Fortschritte erzielt. Es sind heute eine Reihe von Medikamenten verfügbar, die als Therapie in der schubfreien Phase – im sogenannten Intervall – eingesetzt werden und die Aktivität der Erkrankung vermindern können. Die Wirkung der meisten Substanzen basiert auf einer Beeinflussung (Immunmodulation) oder Hemmung (Immunsuppression) des Immunsystems. Grundsätzlich sollte die Auswahl der Medikamente bzw. die Behandlungsstrategie immer individuell auf die Situation des Patienten abgestimmt werden.
Wie wird ein akuter Erkrankungsschub behandelt?
Der akute Entzündungsschub wird nach wie vor mit einer zeitlich auf wenige Tage limitierten hochdosierten Kortisontherapie behandelt. Die Therapie mit Kortison ist ausschließlich dem akuten Schub vorbehalten. Bei anderen Beschwerden oder fortschreitendem Verlauf der Erkrankung besteht für die Verordnung von Steroiden zumeist keine Indikation.
Ein „Schub“ ist definiert als ein objektiv erfassbarer neuer neurologischer Ausfall bzw. eine gravierende Verschlechterung eines vorher bestehenden Ausfalls für die Dauer von mindestens 24 bzw. 48 Stunden. Dieser akute Krankheitsschub muss von sogenannten Pseudoschüben oder Fluktuationen- darunter versteht man die Verschlechterung bestehender Symptome nach körperlicher Belastung, bei Hitze oder im Rahmen eines fieberhaften Infektes- abgegrenzt werden.
Die Behandlung mit Kortison wird dann durchgeführt, wenn ein Schub deutliche Beeinträchtigungen verursacht. Bei „leichten“ Schüben ohne wesentliche Beeinträchtigung (z.B. neu aufgetretene Gefühlsstörungen geringen Ausmaßes) kann individuell entschieden werden, ob auf eine Kortisongabe verzichtet wird, zumal sich milde Symptome meist ohne jede therapeutische Maßnahme wieder zurückbilden.
Vor dem Beginn einer Kortison- Therapie müssen Infekte oder andere Gegenanzeigen ausgeschlossen werden. In der Behandlung mit Kortikosteroiden wird meist Methylprednisolon in einer Dosierung von 1g/Tag (intravenös) für die Dauer von durchschnittlich drei bis fünf Tagen eingesetzt. Ein „Ausschleichen“ (langsame Dosisverringerung) der Kortison- Therapie ist sowohl für die Wirkung als auch im Hinblick auf Nebenwirkungen nicht zwingend nötig.
Bei schweren Schüben bzw. wenn mit der Kortison- Therapie nach zwei bis drei Wochen keine ausreichende Wirkung erzielt wurde, ist eine Wiederholung der Behandlung (eventuell auch in höherer Dosierung) oder in Ausnahmefällen eine sogenannte Plasmapherese (Blutwäsche) möglich. Letztere kann nur in spezialisierten Zentren durchgeführt werden.
Wie wird „im Intervall“ behandelt?
Die Therapie im Intervall dient der Unterdrückung der Krankheitsaktivität und soll ein weiteres Fortschreiten der MS verhindern. Es handelt sich also um eine vorbeugende Maßnahme. Bereits vorhandene körperliche Einschränkungen werden durch die Intervall- Therapie nicht beeinflusst. Je nach Verlaufsform der Krankheit gilt es die passende Therapie zu finden. Leider gibt es auch von Anbeginn fortschreitende Verläufe ohne Schübe (primär progrediente Verläufe), die nach dem derzeitigen Wissensstand medikamentös nicht entscheidend beeinflusst werden können.
Derzeit werden immunologisch wirksame „Intervall- Therapien“ bei folgenden Verlaufsformen angewendet:
- Erstmanifestationen („klinisch isolierte Symptome“)
- schubförmige MS (ein oder mehr Schübe pro Jahr)
- aktive und therapierefraktäre MS
- sekundär progrediente MS
Therapie von Erstmanifestationen
Beim ersten Auftreten einer Multiplen Sklerose (Erstmanifestation) ist keine sichere Diagnose möglich. Es wird von einer „möglichen MS“ oder einem „klinisch isolierten Syndrom“ (CIS) gesprochen. Nach sorgfältiger Abklärung darf in speziell definierten Fällen – z.B. bei ausgeprägten Veränderungen in der Magnetresonanztomographie (MRT) – schon zu diesem frühen Zeitpunkt mit einer Intervall- Therapie begonnen werden. Die Entscheidung erfordert besonders sorgfältige Abwägung des Risikos eines Fortschreitens der Erkrankung gegen die Belastungen, die durch Nebenwirkungen der Therapien verursacht werden.
Behandlung der schubförmigen MS
Interferone haben verschiedene Effekte im Körper. Sie wirken gegen Viren (antiviral), beeinflussen das Immunsystem (immunmodulatorisch) und hemmen die Teilung von schnell teilenden Zellen, beispielsweise Tumorzellen (antiproliferativ). Welche genauen Mechanismen bei der Therapie der MS zu Grunde liegen, ist derzeit noch nicht abschließend geklärt. Es gibt jedoch Hinweise, dass Interferon beta sowohl auf Immunzellen als auch auf Botenstoffe wirkt, die an den Entzündungsprozessen der Nerven beteiligt sind.
Derzeit sind drei Interferon beta-Präparate für die Behandlung der schubförmigen Multiple Sklerose zugelassen. Sie werden – je nach Art der Herstellung – unterschieden in Interferon beta-1b und Interferon beta-1a. Während Interferon-beta-1b von Bakterien (E. coli) produziert wird, stammt Interferon beta-1a aus Säugetierzellen und ähnelt daher stärker dem natürlichen Interferon beta des Menschen. Alle drei Interferon-Präparate werden entweder subkutan oder intramuskulär gespritzt, d.h. unter die Haut oder in das Muskelgewebe. Ähnlich wie bei der Insulintherapie beim Diabetes mellitus können die Patienten dies nach entsprechender Einschulung selber durchführen.
Jedes der drei Beta-Interferone ist vor der Zulassung für die schubförmige MS in einer großen Studie mit 300 bis knapp 600 Patienten über einen Zeitraum von zwei Jahren in Vergleich zu einem Scheinpräparat (Placebo) überprüft worden. An ihrer Wirksamkeit herrscht heute kein Zweifel mehr. In jeder Studie konnte die Schubrate durch das Interferon-beta gegenüber Placebo um etwa ein Drittel gesenkt werden. Bei den Interferon beta-1a Präparaten konnte darüber hinaus gezeigt werden, dass sie das Fortschreiten der Erkrankung signifikant verzögern. Weitere Aussagen zu den drei Präparaten sind zurzeit allerdings nicht abschließend möglich. Auch die optimale Dosierung, Injektionshäufigkeit und Applikationsform werden von den Experten noch kontrovers diskutiert. Studien zu diesen Fragen sind noch nicht abgeschlossen.
Zu den wichtigsten Nebenwirkungen der Interferon- Therapie zählen – neben lokalen Hautreaktionen an der Injektionsstelle (Rötungen, Schwellungen) – grippeähnliche Symptome. Sie treten meistens in den ersten Stunden nach der Injektion auf und werden in der Regel mit zunehmender Behandlungsdauer seltener. Durch eine prophylaktische Einnahme von Paracetamol oder Ibuprofen lassen sich die Beschwerden häufig mildern. Die vorwiegend durch subkutane Anwendung verursachten Hautreaktionen können durch die Kühlung der Injektionsstelle gemildert werden. Da unter den Interferon beta-Präparaten weiterhin gelegentlich Stimmungsschwankungen auftreten können, die sich jedoch in vielen Fällen gut behandeln lassen, sind sie für Patienten mit Depressionen nicht geeignet.
Glatirameracetat: Die früher auch Copolymer-1 genannte Substanz ist ein synthetisches Gemisch aus kurzen Eiweißen (Polypeptiden), das dem basischen Myelinprotein der Nervenhülle ähnlich ist. Auf Grund dieser Ähnlichkeit scheint es auf verschiedenen Ebenen die Autoimmunreaktion des Körpers gegen die Myelinschicht unterdrücken zu können. Glatirameracetat ist seit vielen Jahren für die Basistherapie der schubförmigen Multiplen Sklerose zugelassen. Es wird täglich in einer Dosis von 20 mg unter die Haut gespritzt.
Die Wirksamkeit von Glatirameracetat ist inzwischen in mehreren Studien belegt worden. Bei einer schubförmigen MS reduziert es die Schubfrequenz gegenüber einem Placebo um ca. 30 Prozent. Man geht heute davon aus, dass Glatirameracetat nicht nur die Schubfrequenz reduziert, sondern darüber hinaus eine sich langsam aufbauende, positive Wirkung auf die Entwicklung der Nervenläsionen hat.
Sein Therapieeffekt tritt allerdings im Vergleich zu den Interferon beta-Präparaten deutlich verzögert ein, sodass auch kurz nach Therapiebeginn noch Schübe auftreten können. Mit einem vollen Therapieeffekt ist circa 5-6Monate nach Beginn der Behandlung mit Glatirameracetat zu rechnen.
Als wichtigste Nebenwirkungen kann es neben Lymphknotenschwellungen zu kurzandauernden, teilweise mehrfach auftretenden Reaktionen mit Beklemmungsgefühl, Angst, Herzrasen und Hautrötungen kommen. Nach Studienergebnissen ist mit diesem Ereignis bei etwa 15 Prozent der Patienten mindestens einmal kurz nach der Injektion zu rechnen.
In neueren Studien wird jedoch nicht nur der Einfluss der Medikamente auf die Schubfrequenz, sondern auch mit Hilfe der Kernspintomographie auf die Bildung der Nervenläsionen untersucht. Nach einer aktuellen Untersuchung zeigt Glatirameracetat ab dem sechsten Behandlungsmonat auch hier einen Effekt.
Immunglobuline werden seit vielen Jahren erfolgreich bei unterschiedlichen Autoimmunerkrankungen verordnet. Zur Therapie der schubförmigen MS werden hochdosierte intravenöse Immunglobuline (IVIg) zumeist als Mittel zweiter Wahl empfohlen (keine ausreichenden Studienergebnisse betreff Einsatz bei MS!), wenn andere immunmodulatorische Therapien wie Beta-Interferone und Glatirameracetat nicht eingesetzt werden können. Die generelle Anwendung von IVIg bei der Schubtherapie, zusätzlich zur etablierten Kortisonpulstherapie, erscheint nicht sinnvoll.
Bei Patienten mit chronisch verlaufender MS zeigte sich unter Therapie mit Immunglobulinen kein Effekt auf EDSS-Progression, Schubrate, MRT oder andere klinische Parameter. Es gibt allerdings MRT-Hinweise auf einen möglichen Schutz der weißen Substanz im Hirn während des zweiten Behandlungsjahres, dessen klinische Bedeutung aber noch völlig unklar ist.
Als spezielle Indikation ist der Einsatz von Immunglobulinen zur Vorbeugung von Schüben bei ausgewählten Patienten kurz nach einer Schwangerschaft anzuführen, die Entscheidung für eine derartige Therapie obliegt im Regelfall dem Spezialisten. Es ist bekannt, dass die Schubfrequenz bei Frauen mit MS während einer Schwangerschaft abnimmt, jedoch in den Monaten nach der Geburt deutlich ansteigt. Die für MS zugelassenen Medikamente sind während der Schwangerschaft und Stillzeit aufgrund von Risiken nicht empfehlenswert, IVIg könnte hier im Einzelfall eine Option darstellen.
Azathioprin wird schon seit vielen Jahren in der MS-Therapie eingesetzt, obwohl keine gut kontrollierten Studien vorliegen. Aufgrund der schlechten Datenlage kann Azathioprin – trotz möglicher Wirksamkeit – derzeit zumindest für Neueinstellungen nicht mehr empfohlen werden. In Ausnahmefällen erscheint die Verwendung von Azathioprin in einer Dosierung von 2-3 mg pro Kilogramm Körpergewicht aber durchaus gerechtfertigt. Dies gilt insbesondere für bereits mit dieser Substanz zufriedenstellend behandelte Patientinnen und Patienten.
Fumarsäure (Tecfidera) erweitert das Spektrum von Therapien zur Behandlung der schubförmigen MS: Die Kombination aus hoher Wirksamkeit und Sicherheit mache das Medikament zu einer interessanten Behandlungsoption. Die Fumarsäure, seit den 90er Jahren als Fumaderm® auf dem Markt, ist eines dieser neuen Therapeutika, die in Form einer Tablette eingenommen werden. Sie ist ein Bestandteil des Zitronensäurezyklus, einem zentralen Kreislauf im menschlichen Körper, der hauptsächlich der Energiegewinnung dient. Die Salze der Fumarsäure heißen Fumarate.
Die Resorption der Substanz erfolgt über den Dünndarm, geringe Mengen werden über Urin und Stuhl ausgeschieden. Die Halbwertszeit von Dimethylfumarat (DMF), einem Ester der Fumarsäure, beträgt etwa 12 Minuten. DMF wird nach Einnahme im Darm schnell in Monomethylfumarat (MMF) verstoffwechselt, welches eine Halbwertszeit von etwa einer Stunde besitzt.
Der genaue Wirkmechanismus ist bisher noch unbekannt, Hypothesen sind: Es werden Zellen und Moleküle im Immunsystem ‚umprogrammiert‘, die so das Nervensystem vor Schädigungen schützen. Hierbei kommt es zu einer Verschiebung von Immunzellen (vor allem den sogenannten dendritischen Zellen) und Botenstoffen des Immunsystems (Interleukinen). Aus der Aktivierung einer Kaskade verschiedener biochemischer Prozesse, die in zentraler Funktion den sogenannten NF-E2-related factor 2 (Nrf2) einbeziehen, resultiert letztendlich ein Schutz vor entzündlicher Destruktion, Detoxifikation und ein Abbau beschädigterProteine. DMF verringert den Anteil des im Nervensystem schädlich wirkenden Stickstoffoxid, wodurch dem DMF eine potentiell schützende, neuroprotektive Wirkung des Nervensystems zuzusprechen ist.
Nebenwirkungen: Zwar gilt die Fumarsäure im Vergleich zu anderen Präparaten als gesundheitlich ungefährlich, dennoch kam es in den Studien zu häufigen Nebenwirkungen. Als häufigste Nebenwirkung sind nach der Einnahme von DMF gastrointestinale Störungen in Form von Magen-Darm-Krämpfen, Durchfällen und Völlegefühl zu verzeichnen. Diese reduzieren sich jedoch nach ca. 2-3-wöchiger Einnahme, können jedoch bei ca 3 % der Patienten zum Absetzen der Therapie führen. Eine langsame Steigerung der Substanz bis hin zur Zieldosis ist daher zu empfehlen. Weiterhin werden häufig Hautrötungen, die sogenannte Flush-Symptomatik, unmittelbar nach Einnahme beobachtet. Diese treten bei etwa 40% der Patienten auf und klingen nach 4-6 Wochen ab. Da bei einigen Patienten die weißen Blutkörperchen stark abfallen können, sollte in 6-8 Wochen Abständen das Blutbild kontrolliert werden!! (bei länger bestehenden sehr niedrigen Lymphozytenwerten wurden vereinzelt PML-Fälle beobachtet: siehe auch „PML“ unter „MS-News“)
Teriflunomid (Aubagio) gehört zu den vielsprechenden neuen oralen Wirkstoffen zur Behandlung der Multiplen Sklerose. Es handelt sich um ein Stoffwechselprodukt von Leflunomid, das seit längerem als Basistherapeutikum in der Behandlung von rheumatischen Erkrankungen eingesetzt wird. Teriflunomid wirkt hemmend auf die sich rasch teilenden Zellen des Immunsystems.
Die Therapie mit Teriflunomid senkte die Zahl der Schübe, den primären Endpunkt der Studie, von 0,54 auf 0,37 pro Jahr. Die Ergebnisse zeigen, dass Teriflunomid das Fortschreiten der Erkrankung nicht stoppen, sondern nur verlangsamen kann. Die Wirkstärke liegt im Bereich der derzeit verwendeten injizierbaren Medikamente (Interferone und Glatirameracetat).
Nebenwirkungen sind eine reversible Haarausdünnung sowie Anstieg der Leberwerte (deswegen Laborkontrolle monatlich im ersten Halbjahr der Behandlung erforderlich). Die Substanz hat ein erhöhtes teratogenes (keimschädigendes) Potential daher ist sichere Empfängnisverhütung unter Therapie unerlässlich. Bei/vor geplanter Schwangerschaft kann Teriflunomid durch Gabe von eines Medikamentes (Colestyramin) rasch aus dem Körper entfernt werden.
Behandlung der aktiven und therapierefraktären MS: „Eskalationstherapie“
Natalizumab: eine neuere Therapie-Option stellt der Wirkstoff Natalizumab dar, der 2006 in Europa für aktive schubförmige MS zugelassen wurde. Der selektive Adhäsionsmolekül- Inhibitor Natalizumab (=monoklonaler Antikörper) ist für die krankheitsmodifizieren Therapie einer hochaktiven schubförmig-remittierenden multiplen Sklerose (RRMS) bei Patienten mit hoher Krankheitsaktivität trotz Behandlung mit einem Interferon beta bzw. bei Patienten mit rasch fortschreitender Erkrankung indiziert.
Natalizumab wird als Infusion einmal monatlich verabreicht. In Studien mit über 2.000 Betroffenen konnte eine überlegene Wirksamkeit von Natalizumab gegenüber einem Scheinmedikament (Placebo) in Hinblick auf Schubrate und Krankheitsfortschreiten gezeigt werden. Zusätzlich fand sich während einer zweijährigen Studienphase unter Behandlung mit Natalizumab eine deutlich höhere Anzahl von Patientinnen und Patienten ohne Krankheitsaktivität. Es hat sich gezeigt, dass unter Praxisbedingungen ebenso gute Resultate erreicht werden können wie in den klinischen Studien.
Das Medikament wird als intravenöse Infusion verabreicht, die Dosis für Erwachsene beträgt 300mg einmal alle 4 Wochen. Natalizumab ist insgesamt gut verträglich, es kann aber besonders am Beginn der Behandlung zu allergischen Reaktionen kommen. In sehr seltenen Fällen kann es unter dieser Therapie zu einer schweren Gehirnentzündung (progressive multifokale Leukenzephalopathie/PML) kommen. Das diesbezügliche Risiko kann allerdings durch Bestimmung des JC-Virus Status (positiv oder negativ) besser eingeschätzt („stratifiziert“) werden. In der Routinetherapie wurden bislang eine große Anzahl an Patienten erfolgreich und ohne nennenswerte Probleme mit dem Medikament behandelt, selten werden allerdings neue PML Erkrankungsfälle gemeldet. Ein umfassendes Kontroll- und Dokumentationsprogramm soll die möglichst sichere Anwendung dieser Behandlung gewährleisten. Die verstärkte Aufmerksamkeit in Bezug auf mögliche Nebenwirkungen hat dazu geführt, dass diese mittlerweile rascher erkannt und dementsprechend behandelt werden. Das Medikament darf nicht bei Vorliegen folgender Gegenanzeigen verabreicht werden:
- bei Progressiver Multifokaler Leukoenzephalopathie (PML = seltene schwere Viruserkrankung des zentralen Nervensystems)
- bei erhöhtem Infektrisiko durch Schwächung des Immunsystems (HIV, Leukämie, spezielle Medikamente)
- bei Krebserkrankungen ausgenommen Basaliom (eine Form des Hautkrebses)
- bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren
- bei Allergie gegen den Wirkstoff oder einen anderen Bestandteil des Medikamentes
Selbstverständlich verbietet sich eine Behandlung mit Natalizumab auch während einer Schwangerschaft und während des Stillens! Höchste Vorsicht ist auch bei der gleichzeitigen Einnahme von Medikamenten, die die Immunabwehr beeinträchtigen (Immunsuppressiva) geboten. Natalizumab darf nicht in Kombination mit Interferon beta oder Glatirameracetat angewandt werden!
Fingolimod (Gilenya) sollte zu einem völlig neuen Behandlungsprinzip zur Beherrschung der Organabstoßung nach Transplantationen werden. Der Wirkstoff bringt Immunzellen im Blut dazu, ihre Aktivität einzustellen und sich wieder in die Lymphknoten zurückzuziehen bzw. diese von Anfang an gar nicht zu verlassen. Dadurch können sie auch nicht ins Gehirn einwandern. Auch diese Substanz in Tablettenform verfügbare Substanz ist offenbar hoch wirksam. Im Vergleich zu Beta-Interferon reduzierte sich die Schubrate um mehr als ein Drittel bis etwa die Hälfte.
Nebenwirkungen: Fingolimod senkt die Anzahl der weißen Blutkörperchen. Diese Wirkung ist für die Behandlung der MS erwünscht. Weiße Blutkörperchen sind jedoch auch zur Abwehr von Infekten erforderlich. Eine Behandlung mit Fingolimod könnte zu einer höheren Anfälligkeit für Infektionen führen. Bereits bestehende Infektionen könnten sich verschlechtern. Fälle von schwerwiegenden Herpes Infektionen (Verursachen u.a Gürtelrose und Windpocken) unter Fingolimod sind bekannt, demzufolge bestimmt man vor Therapiebeginn den entsprechenden Immunstatus.
Nach der ersten Einnahme von Fingolimod kann oft ein deutlicher Abfall der Herzfrequenz (Bradykardie) beobachtet werden. Diese Wirkung bildet sich normalerweise nach einigen Stunden zurück und tritt bei kontinuierlicher Einnahme des Arzneistoffs nicht erneut auf. Nachdem einzelne Fälle von schweren Herz-Kreislauf-Störungen bekannt geworden waren, wurde im Januar 2012 als Maßnahme eine entsprechende Therapieüberwachung empfohlen: bei allen Patienten ist innerhalb der ersten 6 Stunden nach Therapiebeginn laufend Herzfrequenz, Blutdruck und EKG zu kontrollieren, gegebenenfalls muss die Überwachung auch darüber hinaus weitergeführt werden (Ersteinstellung erfolgt im Regelfall im Rahmen einer kurzen Spitalsaufnahme!) Nach Experten Bewertung soll Fingolimod ferner möglichst nicht gleichzeitig mit Medikamenten verabreicht werden, die die Herzfrequenz verlangsamen und möglichst nicht bei Patienten mit bestimmten Herzerkrankungen angewendet werden. Bei dauerhafter Behandlung kann es zu einem moderaten Anstieg des Blutdrucks kommen.
Bei einigen Patienten wurden Schwellungen im zentralen Sehbereich des Augenhintergrunds beobachtet (Makulaödem). Ein Makulaödem kann Sehstörungen auslösen.
Alemtuzumab (Lemtrada): Monolonaler Antikörper mit sehr hoher Wirksamkeit bei schubhafter MS! Der Einsatz limitiert sich allerdings auf Grund der Nebenwirkungen (Aktivierung anderer Autoimmunerkrankungen: Schilddrüse/Niere/Blutplättchen) und wegen des deswegen notwendigen hohen Monitoraufwandes auf „Spezialindiaktioen“. Die Verschreibung und Verabreichung erfolgt ausnahmslos in Spezialkliniken/im Krankenhaus. In den USA derzeit für MS nicht zugelassen, wohl aber in Europa!
Behandlung der sekundär progredienten MS
Für sekundär progrediente Verläufe – also Erkrankungen, die nach anfänglich schubförmigem Verlauf in ein kontinuierliches Fortschreiten übergehen – liegen in der Zwischenzeit mehrere Studien vor, die die (mäßige)Wirksamkeit verschiedener Medikamente belegen. Schwerpunkt der Behandlung liegt in der symptomatischen Therapie (Physiotherapie, Behandlung von urologischen Problemen, Spastiv, ect.)
Interferone: Bezüglich Betainterferon wurden in den durchgeführten Studien widersprüchliche Ergebnisse erzielt, zahlreiche Untersuchungen konnten keine ausreichende Wirkung bei MS nachweisen. Für Interferon-ß 1b zeigte eine große europäische Studie einen verzögernden Effekt auf die Erkrankung vorzugsweise bei Patienten mit weiteren Schüben/Aktivität. Deshalb wurde diese Substanz für die Therapie von sekundär progredienten Verläufen registriert. MS-Betroffene mit sehr fortgeschrittenen und seit langer Zeit unveränderten körperlichen Einschränkungen kommen für diese Therapie nicht infrage, da sie nach derzeitigem Kenntnisstand vermutlich nicht davon profitieren.
Mitoxantron ist für die Therapie der sekundär progredienten MS als gut wirksam belegt, wird heute aber kaum noch eingesetzt!!. Die Notwendigkeit von Kontrollen der Herzfunktion unter dieser Therapie und die Beachtung einer Dosisobergrenze sind notwendig. Die Durchführung der Behandlung soll spezialisierten Zentren vorbehalten werden.
Die Gabe von intravenösen Immunglobulinen ist bei progredienten Verläufen als nicht wirksam belegt (d.h. es liegen keine Studien diesbezüglich vor), kann aber im Einzelfall als Behandlungsmöglichkeit in Erwägung gezogen werden.